Expert*innentext, Förderstruktur

Ein Text von Marcia Breuer

In den vergangenen Jahren haben viele Künstler*innen Kinder bekommen.* Diese veränderte Realität muss nun in vielen Teilbereichen der Kunstwelt Berücksichtigung finden – die bis dato ihrer Elternschaft wegen stellenweise benachteiligten Künstler*innen müssen aktiver Teil der Branche bleiben können.

Mit einsetzender Elternschaft verringert sich in der Regel die Kompatibilität der Lebenssituation der involvierten, Sorge tragenden Künstler*innen mit tradierten Praktiken und Mechanismen der klassischen künstlerischen Karrierebildung: Die unter Künstler*innen, deren Auskommen in nur wenigen Fällen durch die eigene künstlerische Produktion gesichert ist, verbreitete Doppelbelastung von Lohnarbeit und künstlerischer Arbeit wird zu einer Dreifachbelastung mit erheblich reduzierten Zeitfenstern und folglich eingeschränkter Produktivität. Verschobene Alltagsrhythmen kollidieren mit dem Timing üblicher Branchenveranstaltungen und beeinträchtigen Präsenz und Networking. Reise- und Residenzstipendien, die einen Großteil der institutionellen Fördermaßnahmen bilden, sind, ihrer familienfeindlichen Bedingungen wegen, oft nicht mehr wahrnehmbar.

Fortgeführt über den doch relativ lange währenden Zeitraum der intensiveren, sorgebedingten Begleitung der Kinder hinweg, drängen jene Beeinträchtigungen viele Künstler*innen über kurz oder lang aus der Branche – eine von Erfolg begleitete Rückkehr gelingt, da die Betreffenden kaum mehr die für die Kunstwelt attraktiven, oberflächlichen Attribute aufweisen können und dem tragenden Beziehungsgeflecht entglitten sind, selten.

Getting it clear: ein in variierender Ausformung auftretender, symbiotisch ineinander verwobener Mangel an Zeit und Geld führt zum Ausschluss vieler Künstler*inneneltern aus der Branche. Entsprechend meint eine (monetäre) Förderung im Falle bestehender Elternschaft in den meisten Fällen nicht „jetzt kann ich mich ganz auf meine Kunst konzentrieren“ oder „ich muss jetzt etwas weniger jobben“ sondern „jetzt komme ich überhaupt erst wieder in ernsthafter Form dazu Kunst zu machen“ – hopp oder top.

Elternschaft darf kein (verstecktes) Ausschlußkriterium für Künstler*innen darstellen (ich setze diese Übereinkunft als selbstverständlich voraus). Folglich muss an den Stellen, da die Organisation von Stipendien explizit für Künstler*innen mit Kind(ern) nicht möglich ist, der Zugang zu bestehenden Förderprogrammen erleichtert bzw. die jene betreffenden Bedingungen flexibilisiert werden.

Die Basics:

Geburten sowie jene Zeiträume, die explizit der Kinderbetreuung zugute gekommen sind, müssen als fester Bestandteil eines künstlerischen Lebenslaufs etabliert werden.

Sie erklären sorgearbeitsbedingte Lücken in der künstlerischen Biografie, temporäre Einbrüche der Produktivität und eventuell erfolgte Veränderungen der künstlerischen Arbeitsweise.

Altersbegrenzungen jeglicher Ausformung sind per se diskriminierend, werden der Unterschiedlichkeit von Künstler*innen-Lebensentwürfe nicht gerecht und führen zu einer Beschneidung der Vielfalt von präsenteren künstlerischen Positionen – das brauchen wir nicht.

Eine während eines Stipendiums, einer Projektförderung oder einer sonstigen Kooperation aufgekommene Schwangerschaft darf nicht zum Nachteil der betroffenen Künstler*innen gereichen. Die Möglichkeit eines temporären Aussetzens der Maßnahme oder das Verschieben besprochener Deadlines können konstruktive Lösungsansätze bilden.

Die schwierigeren Fälle: Reise- und Residenzstipendien

Reise- und Residenzstipendien stellen ein weit verbreitetes und insbesondere tradiertes Mittel der Künstler*innenförderung dar. Meist längerfristig angelegt und/oder mit Residenzpflichten behaftet, weisen diese Stipendienformen Bedingungen auf, die von Künstler*innen mit Kind(ern) oft nicht erfüllt werden können. – Es ist wohl der Aspekt des Tradierten, der sich an einem ungebundenen Künstler*innen-Solitär orientiert und damit dem zeitgemäßen Umgang mit mannigfaltigen Künstler*innen-Individuuen häufig entgegen wirkt.

Viele Künstler*innen können (und wollen) den Familienzusammenhang nicht für einen längeren Zeitraum verlassen und nur in wenigen Fällen ist es einer Künstler*innenfamilie möglich, geschlossen und über einen längeren Zeitraum hinweg, an einen anderen Ort umzusiedeln oder umherzureisen. Im Falle der Mitnahme des Kindes oder der Kinder zur Stipendienstätte führen erhöhte Reisekosten, ein veränderter Raumbedarf und die Betreuung des Nachwuchses zu weiteren Schwierigkeiten, die es mit der fördernden Institution zu klären gilt. Andere Künstler*innen möchten ein Stipendium alleine antreten und sehen sich hierdurch, auch in Abhängigkeit von der individuellen partnerschaftlichen Situation, mit wiederum weiteren Herausforderungen konfrontiert ...

Der angedeutete, rasche Blick auf die Vielfalt der, im jeweiligen Einzelfall variierenden, Hemmnisse, die eine Förderung durch ein Reise- oder Residenzstipendium für Künstler*innen mit Sorgeverpflichtung mit sich bringen, macht deutlich, dass hier die konstruktive Kommunikation zwischen Künstler*in und Förderstelle und die Flexibilisierung der Stipendienbedingungen unabdingbare Faktoren für das freudvolle und erfolgreiche Gelingen einer solchen Förderung sind.

Die wohl simpelste Maßnahme, neben der kommunikativen Offenheit und der Unterstützung bei der gegebenenfalls benötigten Kinderbetreuung, um Künstler*innen mit Kind(ern) den Zugang zu Reise- und Residenzstipendien zu erleichtern, bildet die Verkürzung der Dauer jener Stipendien: Mikro-Residenzen oder Kurzreisen von ein bis drei Wochen Dauer sind unter beinahe allen Lebensumständen wahrnehmbar. Ausgedehntere Förderprogramme können entsprechend zwischen mehreren Künstler*innen mit Kind(ern) aufgeteilt werden.

Easy ...

So kompliziert die Anpassung der Bedingungen von Reise- oder Residenzstipendien an die Lebenssituation von Künstler*inneneltern erscheinen mag, so umstandslos sind für jene all die Förderungen wahrnehmbar, die keinerlei spezifische Forderung an ihre individuelle Mobilität stellen: Projektförderungen und ortsungebundene Arbeitsstipendien stellen Künstler*innen mit Kind(ern) vor keinerlei logistische Herausforderungen und eignen sich damit für jene in besonderem Maße als Förderinstrument – ja, hier geht es alleine um’s Geld (und damit um erkaufte, kostbare Zeit), recht funktional und wenig romantisch das Ganze, aber … easy. (Und, by the way: auch die im Rahmen eines geförderten Projekts gegebenenfalls notwendig werdende Kinderbetreuung sollte als Projektbedarf geltend gemacht werden können – schließlich ist diese häufig unabdingbare Grundlage für eine intensivere Arbeit an der Sache.)

Entsprechend macht es Sinn, neben den bestehenden, für alle Künstler*innen offenen Arbeitsstipendien, weitere ortsungebundene Stipendien, die explizit Künstler*innen mit Sorgeverpflichtung adressieren, einzurichten. Dies sowohl als Ausgleich für viele, nach wie vor für Künstler*innen mit Kind(ern) nicht in Frage kommende Stipendien, wie auch als Signal dafür, dass Elternschaft in der Kunst deutlich erwünscht ist.

…!

Mit jenem Signal, das sich bejahend zur Künstler*innenelternschaft, als einem möglichen Teilaspekt künstlerischer Biografien, bekennt, haben wir einen letzten Punkt erreicht, der sich nicht vorrangig auf Förderstrukturen, die Bedingungen von Fördermaßnahmen oder die Details ihrer Ausgestaltung bezieht, aber doch die Grundlage aller Bemühungen um familienfreundliche Künstler*innenförderung bildet: Künstler*innenelternschaft sollte von Relevanz sein, gleichsam Normalität und nicht der Rede wert – eben einen möglichen Lebensentwurf darstellend, der mitgedacht werden muss und, bestimmter Erschwernisse wegen, ganz selbstverständlich ein Entgegenkommen erfordert.

Nur dann wird den explizit Künstler*inneneltern gewidmeten Stipendien nicht der Beigeschmack des Abgehängten, des Trostpreisartigen anhaften. Nur dann werden eventuell länger andauernde Gespräche, die einen flexibilisierten Zeitplan oder Fragen der Kinderbetreuung betreffen, von Seiten der Förderstätten nicht als lästig sondern als selbstverständlich empfunden werden. Und nur dann werden wir längerfristig in eine üppigere Kunstlandschaft eintauchen dürfen, die, ihrer unterschiedlichen Protagonisten und Themen und ihrer mannigfaltigen Gesten wegen tatsächlich Vielfalt aufweisen kann.

 

 

* Tatsächlich bekommen männlich Künstler schon seit jeher Kinder, ohne dass dies einen größeren Einfluß auf den Verlauf ihrer Karriere genommen hätte. Für sie gilt es nun, auch in ihrer Rolle als Vater sichtbar zu werden. Der Großteil ihrer weiblichen Kolleginnen hingegen wagt erst seit kurzem den für jene risikobehafteten Versuch, Elternschaft und Karriere verbinden zu wollen.

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Marcia Breuer (geb. 1978 in Wiesbaden), arbeitet als Künstlerin, Gestalterin und Dozentin in Hamburg. Ihre künstlerische Praxis setzt an den Schnittstellen von Mensch und Natur, Körper und Form an. 2019 hat Marcia Breuer die Initiative „Mehr Mütter für die Kunst.“ (http://mehrmütterfürdiekunst.net/index.php?s=start) begründet.

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