Im Rahmen unserer Möglichkeiten.
Ein Text von Sina-Marie Schneller
Wenn eine Person ein Kunststudium abschließt oder aus einer anderen Lebensphase heraus neu in die Freie Kunstproduktion einsteigen möchte, steht sie vor der Herausforderung, gleichzeitig eine künstlerische Identität, die persönliche Arbeitsweise und die entsprechende Finanzierung zu finden.
Dabei ist es für Künstler*innen schwer, Arbeitsweisen zu entwickeln, die nicht in irgendeiner Form geprägt sind vom Denken in Projekten und Ideen vom neoliberalen Selbst (flexibel, belastbar, kreativ, innovativ, teamfähig, begeisterungsfähig und äh … kreativ). Es wird von der jungen Künstler*in erwartet, ein originäres künstlerisches Konzept zu formulieren, sich von anderen abzugrenzen und sich gleichzeitig zu vernetzen und den eigenen Lebensunterhalt mit Kunst zu bestreiten und nicht mit Kellnern. Stellt man kritische Fragen an dieses systemische Geflecht, geben die Antworten vielleicht Hinweise darauf, was man für eine Künstler*in ist oder sein will: Bin ich ein Solo-Genie, eine Teamplayer*in, bin ich eine Konzeptkünstler*in, eine Anstifter*in, eine Produzent*in, eine Unternehmer*in oder mache ich meine Kunst ohne Bezahlung und sichere mir meinen Unterhalt auf andere Weise? Auch wenn große Förderprogramme meist eine neutrale Projektförderung anbieten, die das Thema und die Konditionen des Vorhabens nicht spezifisch rahmt, prägen viele Förderungen und Stiftungen dennoch den Charakter des Anliegens: Es soll innovativ, nachhaltig, sozial oder kollaborativ sein… Dabei ist wichtig zu wissen: Ein Antrag ist kein mit Blut unterschriebener Vertrag. Man kann Konzepte sprachlich anpassen und man muss später nicht auf’s Wort genau erfüllen, was man entwirft, solange bestimmte Grundanliegen gleich bleiben, starke Änderungen erklärt werden und man darüber mit allen Stakeholdern des Projekts – also auch den Förder*innen – im Gespräch bleibt.
Förderbedingungen treffen auf hybride Realitäten
Sucht eine Einsteiger*in die passende Finanzierung für ihr Vorhaben, muss sie bei jeder Förderung, jedem Festivalcall, jedem Stipendium und jeder Residenz überprüfen, ob Studierende von der Förderung ausgeschlossen sind, ob eine bestimmte Berufserfahrung nachgewiesen werden muss, ob man sich überhaupt als Kollektiv oder Einzelperson oder nur als Verein oder Institution bewerben kann oder ob es eine Altersgrenze gibt. Um einen professionellen Arbeitsrahmen sicherzustellen, werden Studierende oft von Förderprogrammen ausgeschlossen. Das entspricht nicht der alltäglichen Praxis, in der Studierende bereits während des Studiums eigene Projekte machen wollen oder sollen um sich zu ‚professionalisieren‘ und viele – befähigt durch vorangegangene Studien/Ausbildungen/Kunstpraxen – bereits selbstverständlich neben dem aktuellen Studium einer künstlerischen Arbeit nachgehen. Gleichzeitig wird in vielen künstlerischen Studiengängen nicht (genug) auf die Praxis der Kunstproduktion vorbereitet. Gerade klassische Ausbildungen für die Bühne gehen oft nicht davon aus, dass Künstler*innen eigenständig interdisziplinäre Allianzen eingehen müssen/wollen, über ihre Arbeitsbedingungen reflektieren oder eigenverantwortlich Kunstprojekte realisieren werden.
Ist es überhaupt gut, eine Szene als Nachwuchs zu bezeichnen?
Zu einem solchen Label müssen die Akteur*innen sich verhalten – Ab und bis wann versteht man sich als Nachwuchs bzw. wird man als Nachwuchs gesehen und was kommt danach? Problematisch wird es unter anderem dann, wenn etablierte Festivals oder kommunale Theater die Freien darstellenden Künste mit Nachwuchs verwechseln. In diesem Fall ist nicht bekannt, dass die Freie Szene nicht per se zu als professionell(er) wahrgenommenen Institutionen und besser ausgestatteten Bedingungen hinstrebt, sondern eigene Arbeitspraktiken und Arbeitsräume bewusst gewählt hat und sich richtig an ihrem Ort fühlt.
Und soll der Nachwuchs eigene Fördertöpfe bekommen?
Einerseits birgt jede Ausdifferenzierung innerhalb der Kunst das Risiko, dass sehr viele kleine Gruppen eine je sehr spezifische Identität formulieren statt Solidarität mit anderen Kunstschaffenden, Selbstständigen oder Mitmenschen zu empfinden. Zudem wird es umso schwieriger, Projekte komplementär zu finanzieren, je spezifischer und enger Gelder ausgeschrieben sind – und komplementäre Finanzierung ist in den gegenwärtigen Förderstrukturen die Regel. Andererseits kann jede dieser eng definierten Gruppen die eigenen, speziellen Qualitäten und Bedürfnisse beschreiben. Für den künstlerischen Nachwuchs in NRW z.B. kann deutlich formuliert werden, welche Ergänzungen es in der Ausbildung braucht, dass es helfende Strukturen in der Phase des Übergangs von Ausbildung zu Professionalität braucht, wie beispielsweise eine Graduiertenförderung, und dass die Erleichterung von Mobilität innerhalb ganz NRWs die regionale künstlerische Arbeit bereichern würde. Die Studierendeninitiative Cheers for Fears gestaltet in NRW Formate, die Kunststudierende und junge Künstler*innen interdisziplinär und solidarisch verbinden. Aktuell arbeitet sie zusammen mit den freien und kommunalen Theaterhäusern NRWs und den Akademien und Studiengängen, die für die Bühne ausbilden, an einer neuen mobilen Akademie mit eigenen Fördermitteln, die Ressourcen für interinstitutionelle studentische Kunst, künstlerische Forschung und Professionalisierung freisetzen soll.
Einige Hinweise auf bereits bestehende „Nachwuchsförderung“ sind aktuell z.B.:
Stipendien und Förderprogramme
Viele Kommunen fördern junge Kunst mit Stipendien und Förderprogrammen. Köln vergibt Förderstipendien und Berlin und Bremen haben eine eigene Einstiegsförderung für die junge darstellende Szene. Auch die Projektförderung Neue Künste Ruhr richtet sich besonders an Berufseinsteiger*innen. Für erste internationale Erfahrungen hat das Goethe-Institut mehrere explizite Nachwuchsförderungen.
Residenzen und Produktionsplattformen
flausen+, Freischwimmen (bundesweit), west off und Cheers for Fears Transit (in NRW) sind Residenzprogramme bzw. Produktionsplattformen, die explizit für Einsteiger*innen gedacht bzw. offen sind. Bei SPRUNGBRETT <> TANZRECHERCHE NRW bilden das Festival tanz nrw und das NRW KULTURsekretariat eine Allianz für ergebnisoffene Recherche-Residenzen. Das Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW vergibt außerdem jährlich NRW Stipendien an freien Theatern für Junges Publikum NRW. Weiterhin gibt es z.B. das auf Personen bis zum Alter von 40 Jahren begrenzte Aufenthaltsstipendien der Akademie Schloss Solitude.
Festivals
Einige Festivals stehen auch gänzlich im Zeichen des Nachwuchses, wie die Treibstoff Theatertage Basel, das ARENA... Festival Erlangen, das DISKURS Festival Gießen, OUTNOW! Festival Bremen, Radikal jung Festival München, Transeuropa Festival Hildesheim, ZEITZEUG_ Festival Bochum, Fast Forward Festival Dresden und das Cheers For Fears Festival NRW.
Nachwuchsformate an Institutionen
Jenseits von Förderprogrammen gibt es spezielle Nachwuchsformate an den meisten Theaterhäusern und Festivals. Z.B. bieten Pact Zollverein in Essen mit dem Format Pact Atelier und das Tanzhaus NRW Düsseldorf mit now & next dem Nachwuchs eine Bühne. Auch das Hundertpro Festival des Ringlokschuppen Ruhr ist besonders offen für Nachwuchs. Die TanzFaktur Köln bietet die Inkubator-Residenz an. In Hamburg gibt es das Residenzprogramm des Fleetstreet Theaters für junge Gruppen und die K3 Residenz für Choreograph*innen, die am Beginn ihrer beruflichen Karriere stehen. Das PAF Berlin hat eine Nachwuchsplattform für Künstler*innen mit Arbeitsmittelpunkt in Berlin und die Sophiensaele richten die Tanztage für den Tanznachwuchs Berlins aus. Der Festivalcampus der Ruhrtriennale hingegen versteht sich aktuell mehr als Inputgeber denn als Plattform.
Ein Fuß in der Tür
Diese Programme der Kunstinstitutionen bieten einerseits Support, erste Arbeitserfahrungen und einen Kontaktaufbau zwischen den Institutionen und den jungen Künstler*innen, andererseits zeigen sie aber auch eine Grenze auf, bis wohin sie Vertrauen schenken und welchen Stellenwert sie der jungen Szene im eigenen Spielplan und innerhalb der eigenen Ressourcen gewähren. Theaterhäuser agieren auch als Gatekeeper und sind entsprechend ihrer kuratorischen Linie vorsichtig, wem sie die Hand reichen.
Von den Eigenen Arbeitsbedingungen zur Solidarisierung
Wenn wir vom Beginn, vom Anfang und vom Einstieg sprechen, ist schon alles da und alles wichtig, was jemals in der künstlerischen Freiberuflichkeit eine Rolle spielen kann: Was sind faire Arbeitsbedingungen? Was für eine Kunst will ich machen, wie schaffe ich Wirksamkeit und Bedeutsamkeit? Wie trete ich in Austausch zwischen den künstlerischen Generationen und Disziplinen? Lasst uns uns nicht gänzlich in der Beschäftigung mit den eigenen Arbeitsbedingungen verlieren und uns stattdessen solidarisieren und Wege finden, relevante, politische Kunst zu machen. Das scheint uns heute schwer zu fallen und nicht jede*r findet entsprechende künstlerische Praktiken und die nötigen Ressourcen. Aber es kann unser Ziel und unsere Richtung sein.
Text von Sina-Marie Schneller – mit Hinweisen von Ulrike Weidlich, Jascha Sommer und Valeska Klug
Sina-Marie Schneller ist freie Programmgestalterin. Sie studierte Theater- und Literaturwissenschaft in Bochum. Als Co-Leiterin der Initiative Cheers for Fears gestaltet sie Workshops, Festivals, Akademien u.v.m. für die junge Kunstszene NRWs. 2021 gestaltete sie im Verbund mit Kolleg*innen die produktionsbande, das bundesweite Vernetzungs- und Weiterbildungsprogramm für Kulturproduzent*innen, und das Kritiklabor NRW, ein Forschungslabor zu neuen Formen der Theaterkritik. 2021-2024 co-leitet sie das FAVORITEN Festival, das Theater-, Tanz- und Performancefestival der Freien Szene Nordrhein-Westfalens.