Expert*innentext, Förderstruktur

Expert*innentext | Gemeinsam Verantwortung tragen. Beiräte auf Kommunalebene.

Ein Text von Katja Grawinkel-Claassen

Wenn man nachschlägt, was ein Beirat ist, findet man zunächst einmal viele Dinge, die ein Beirat nicht ist. Ein Beirat ist keine Jury. Ein Beirat trifft keine Entscheidungen. Er hat keine Kontrolle. Man findet dann auch das Wort „Betroffene“.

Eltern können beispielsweise am Schulleben ihrer Kinder durch einen Elternbeirat teilhaben. Senior*innen oder Menschen mit Behinderung kommen in entsprechenden Beiräten zusammen, die beispielsweise flankierend zu den sehr viel mächtigeren Gremien einer Kommune gebildet werden. Sie sind dabei, wenn Entscheidungen getroffen werden. Oder sind sie mehr?

Kompetenzen bündeln

Statt „Betroffenheit“ könnte man auch das Wort „Kompetenz“ verwenden. Beiräte bilden sich anhand einer bestimmten Perspektive, die in Entscheidungsprozessen benötigt wird. In Beiräten bündeln sich Kompetenzen, hier kommen Fachleute zusammen, die mit ihrem Blick auf eine bestimmte Materie etwas beitragen können. Beiräte beraten und geben Empfehlungen zu Themen ab, mit denen sich die Mitglieder sehr gut auskennen. Ob aus eigener „Betroffenheit“ oder großer Kenntnis der Materie. Letztere wünscht man sich natürlich auch von allen Entscheidungsträger*innen, aber kann eine Stadträtin oder Schuldirektorin wirklich in allen Belangen fundierte Kenntnis haben, über die sie entscheiden muss? Da scheint es doch weise, sich Rat zu suchen.

Beiräte beraten nicht nur Entscheidungs- und Kontrollinstanzen. Sie beraten zunächst einmal Themen. Die Mitglieder kommen zusammen, tauschen sich aus, tragen Wissen zusammen, stimmen ab. Aus diesen Beratungen formen sie Ratschläge.


Beiräte für Kunst und Kultur am Beispiel der Landeshauptstadt Düsseldorf

Auch im Bereich Kunst und Kultur werden Beiräte eingesetzt, um in solchen fundierten Prozessen Perspektiven auf komplexe, ästhetische und finanzielle Entscheidungen zusammen zu tragen, bevor dann mit ihrer Hilfe beispielsweise eine Förderentscheidung getroffen wird.

Die Stadt Düsseldorf unterhält mehrere Beiräte für die verschiedenen Sparten, in denen Kunst und Kultur von der Kommune gefördert werden. Im Beirat „Tanz und Theater“, dessen Mitglied ich seit sechs Jahren bin, versammeln sich mindestens zweimal im Jahr Künstler*innen aus den darstellenden Künsten und andere Mitglieder aus freien Gruppen, zum Beispiel Produktionsleiter*innen. Dazu kommen Kulturpolitiker*innen – jede der im Kulturausschuss vertretenen Fraktionen entsendet eine*n Vertreter*in, die Leitung des Kulturamtes und Mitarbeiter*innen von kleinen und großen Institutionen. Ich vertrete im Beirat das FFT Düsseldorf als Produktionshaus in Düsseldorf, aber die Deutsche Oper am Rhein sitzt auch mit am Tisch – unter anderen. (Die genaue Zusammensetzung dieses speziellen Beirats und aller anderen Beiräte kann auf der Website der Stadt Düsseldorf eingesehen werden.)


Beiratsarbeit – Privileg und Hellseherei

Die Arbeit im Beirat ist ein Privileg. Wir erhalten Einsicht in alle Förderanträge, die Künstler*innen stellen und treffen uns, um anhand festgelegter Kriterien eine Einschätzung dazu abzugeben. An diesen Einschätzungen orientiert sich der Kulturausschuss bei seinen Förderentscheidungen. Leicht ist diese gemeinsame Einschätzung fast nie. Zunächst muss eine gemeinsame Sprache gefunden werden, um die Blicke, die wir aus Kunst, Verwaltung und Politik auf ein künstlerisches Vorhaben werfen. Wie definieren wir beispielsweise „Innovation“, die fast immer von freien darstellenden Künstler*innen erwartet wird? Und was bedeutet sie im Spannungsverhältnis zur Kontinuität in der künstlerischen Arbeit? Wo reiben sich Experiment und Zugänglichkeit?

Letztlich muss eine Einschätzung für die Zukunft gegeben werden: Kann dieses Projekt gelingen? Warum sollte es unbedingt stattfinden? Warum auf diese Weise? Unser Beirat tagt zweimal im Jahr. Dann haben wir bis zu vier Stunden, um über 20 bis 30 Anträge zu beraten. Neben den vorgelegten Anträgen werden auch die künstlerischen Arbeiten besprochen, die man von den Antragssteller*innen bereits kennt. Wir tauschen Eindrücke aus, diskutieren teils hitzig, sind uns aber auch oft schnell einig.

 

Beiratsarbeit – schön und schwierig

Das Schönste an der Tätigkeit ist, die künstlerischen Arbeiten zu sehen, die dann tatsächlich gefördert werden und die Entwicklung von Choreograf*innen, Regisseur*innen und freien Gruppen über die Jahre zu verfolgen. Denn seien wir ehrlich – ein Antrag alleine sagt wenig über künstlerische Qualität und Potentiale. Aufgabe der Beiräte ist es, sich eine fundierte Kenntnis der Szene zu verschaffen, um faire und gut begründete Empfehlungen abzugeben. Ein bisschen müssen wir aber auch als Hellseher*innen fungieren, wenn wir uns durch Hunderte von Antragsseiten arbeiten, Links anklicken, teil auch Gespräche mit Antragssteller*innen führen, um vor den Sitzungen Fragen zu klären. Wenn wir uns dann im Gespräch bemühen, das Potential eines Vorhabens möglichst genau einzuschätzen: Gibt es genügend Kooperationspartner? Welche Rolle spielt die Förderung der Stadt Düsseldorf für die Gesamtfinanzierung eines Projekts? Wird da etwas für Düsseldorf vorgeschlagen, was hier bisher fehlt?

Leider gibt es selten genügend Geld, um alle Projekte zu fördern. Obwohl Düsseldorf zu den finanzstärkeren Kommunen in NRW gehört. Und das ist dann auch schon das Schwierigste an der Arbeit – die negativen Entscheidungen, die Empfehlungen, nicht zu fördern. Denn die müssen in einem Bereich, in dem die Förderung nie für alle reicht, auch getroffen werden. Auch wenn die Entscheidungen letztendlich von anderen getroffen werden, wird diese Verantwortung sehr ernst genommen. Nicht wenige der Beirats-Mitglieder sind selbst immer mal wieder von diesen Entscheidungen „betroffen“, weil sie selbst ihre Arbeit über Anträge ermöglichen.

 

Beirat im Wandel

In dem Beirat, zu dem ich gehöre, haben sich in den letzten Jahren einige Dinge verändert. Wir sind „jünger“ geworden, die Perspektiven diversifizieren sich – auch wenn hier noch Luft nach oben ist, was die Anzahl der möglichen Perspektiven angeht. Viele Prozesse wurden, nicht zuletzt in der Zeit der Lockdowns, ins Digitale verlagert, was angesichts der Anzahl und Länge der gestellten Anträge vor allem eine Entscheidung für mehr Nachhaltigkeit ist. (Denn es werden keine Materialmappen im Umfang eines Telefonbuchs mehr gedruckt und verschickt.) Der Beirat „Tanz und Theater“ tagt schon lange zweimal im Jahr, was den Antragssteller*innen eine größere Flexibilität gibt. Dies fungiert als Vorbild für andere Beiräte, deren Beratungen perspektivisch auch auf diesen Rhythmus umgestellt werden sollen.

Insgesamt ist es möglich, zehn Jahre Mitglied in diesem Beirat zu sein – zweimal fünf Jahre. Zweimal fünf Jahre, um eine künstlerische Szene kennenzulernen, um mit den Kolleg*innen im Beirat in einen produktiven Austausch dazu zu treten, streiten zu üben und die gemeinsame Verantwortung zu tragen. Was für eine lange Zeit in der schnelllebigen Szene, in der wir arbeiten. Wie schön wäre es, wenn wir auch Förderempfehlungen geben könnten, die so lange Zeiträume abdecken.