In eine Jury berufen zu werden, ist zumindest einmal eine Anerkennung von Sachkenntnis, Erfahrung und Urteilsvermögen. So sollte es sein.
Die Verantwortung gegenüber Geldgebern und Künstlerinnen ist groß. Am Ende eines Beurteilungsprozesses steht leider oft eine Kompromissliste. Vor einem liegt ein Stapel von Bewerbungen, von denen nur ein geringer Teil Berücksichtigung für eine Förderung finden kann oder einen Preis erhält. Die formale Betrachtung ist eher ein Verwaltungsakt. Sind alle Kriterien erfüllt, sind Anlagen deutlich in ihrer Aussage, hat der Finanzierungs- und Kostenplan erhebliche Schwächen? Selbst bei der Vorauswahl besteht immer die „Gefahr“, ein tolles Projekt auszuschließen. Das liegt vielleicht an der Unerfahrenheit des Antragstellers, vielleicht von Verzweiflungsauslastungen oder Ohnmacht vor der Bürokratie. Das hat sich inzwischen verbessert, sowohl bei den Geldgebern, die sich bemühen, ihre Kriterien klarer zu fassen, als auch bei den Antragstellerinnen, die Beratungen nutzen oder auf Erfahrung anderer zurückgreifen. Sie vermeiden es, Ausschlusskriterien zu vermeiden.
Beispiele aus der Praxis: Ich ersuche, meine „favourites“ zu bestimmen, ob mit oder ohne Punktesystem. Die Jury befindet sich in einem schier grenzenlosen Kreativraum. Immer mehr künstlerisch ambitionierte oder tätige Freiberufler drängen auf den „Markt“. Von Vorteil ist, wenn man als Jurymitglied viel gesehen hat und offen ist für alle Bereiche der Kunst. Die Ausschlusskriterien bestimmen das Objektive. Nun gut. Muss sein. Der Rest ist eine Mischung aus subjektiven Erwägungen, persönlichen Vorlieben und der Anerkennung gut formulierter Beschreibungen der Vorhaben. Hier entscheidet die Theorie über die folgen sollende praktische Umsetzung. Naturgemäß gibt es Künstler und Gruppen, die jahrelang interessante und qualitativ hochwertige Arbeit geleistet haben. Da höre ich oft „schon wieder die“. Das ist auf keinen Fall ein Kriterium. Kontinuierliche Arbeit auf einem gewissen Niveau ist zu fördern! Egal, wohin der Projekthase läuft. Wenn man als Jurymitglied das Standing für subjektives Betrachten hat, sollte man dies auch nutzen und für seine Favoriten kämpfen.
Befangenheit
Ab wann ist man befangen? Die eigene Oma, der Enkel, Kollegen, die man gut kennt? Ich denke, Befangenheit kann nicht schaden, es sei denn, es handelt sich um Abhängigkeiten oder „mafiöse“ Zusammenhänge. Gibt es so etwas in der Kunst? Ja. So behaupten zumindest einige, die keine Berücksichtigung finden.
Lernprozess
Fast alle meine Jurytätigkeiten haben meinen Horizont erweitert. Aus den Expertisen einiger Kolleginnen habe ich gelernt und das eine oder andere Mal meine Einschätzung des Antrags korrigiert. Es empfiehlt sich, die Angaben auf den Webseiten der Antragsteller anzusehen, um in die Tiefe zu gehen. Manche sind allerdings sehr veraltet.
Projektbeschreibungen
Antragspoesie – ein schönes Wort – findet immer weniger statt. Auch ein Lernprozess für beide Seiten. Allerdings habe ich den Eindruck, dass vor allem akademische Beschreibungen Vorteile bringen. Das ist ärgerlich, zumal nichts darauf hinweist, auch eine entsprechende Realisierung vorauszusehen. Ich will wissen, was haben die Künstlerinnen vor, und nicht, wer die „beste Schreibe“ hat. Inzwischen gibt es Dienstleister, die Projektbeschreibungen übernehmen. Die Interpretation des Geschriebenen ist eigentlich entscheidend und da kann auch ein Sympathiefaktor eine Rolle spielen. Man sollte halt missverständliche Formulierungen vermeiden. Das ist leicht gesagt, sitzt doch der Antragsteller meist in seinem Tunnel und formuliert seine Überzeugungen und Pläne, aber der Leser findet nicht den richtigen Kanal der Interpretation.
Vor allem beim Tanz ist eine Beschreibung ungeheuer schwierig. Ähnliches gilt für Kreationen, deren Endfassung niemand voraussehen kann oder will. Das ist eben ein Manko bei der Antragstellung. Fotos und Videos oder gar Hörbeispiele können hilfreich sein, ein Vorhaben verständlich zu machen. Das lassen die Kurzbeschreibungen, die die Jury als Grundlage hat, oft nicht zu. Exposés und Kurzfassungen zu formulieren, ist eine Kunst für sich. Da könnte Beratung sehr hilfreich sein. Versteht ein Außenstehender, was ich will? Wenn man z. B. den Ehrgeiz hat, einen Antrag an die EU (Cooperation projects) in Angriff zu nehmen, dann wird man mit einem sehr umfangreichen Antragsformular konfrontiert, woraus man – ob gefördert oder nicht – viel lernen kann. Daraus muss man eine Essenz aus 2000 Zeichen filtern. Die Jury muss in die Lage versetzt werden, das Projekt und seine Inhalte deutlich zu erkennen.
Beratung
Eine Beratung bei den zuständigen Stellen ist auf jeden Fall dienlich, zumal, wenn es um formale Dinge geht. Da hat sich inzwischen auch viel getan. Man darf nur nicht erwarten, dass die Beraterin sagt: „Ja, das Projekt ist toll. Wir fördern es.“ Auch sollte man „last-minute“ Anträge vermeiden. Da schleichen sich schnell Oberflächlichkeiten ein. Mir scheint es sehr aussagekräftig, die Vitae der Beteiligten zu lesen, wenn sie in klarer Form vermittelt werden.
Alles in allem gehört auch etwas Glück dazu. Politisch relevante Themen oder „angesagte“ Tendenzen spielen oft eine große Rolle. Da sollte der Antragsteller nicht in die Falle tappen; dennoch zeigt die Erfahrung, dass diese Themen bevorzugt behandelt werden. Da lauern wieder die Antragspoesie, die Selbstzensur und das Verbeugen vor politisch gewollten Themen.
Rolf Dennemann, 16.10.2018