Expert*innentext, Förderstruktur

Ein Text von Moritz Kotzerke 

Die Förderlandschaft verändert sich. Immer mehr Zusammenschlüsse von Akteur:innen der freien Szene tauchen auf, die als Zwischenhändler:innen Fördergelder verwalten und diese selbst organisiert weiterverteilen. Das ist zwar bisher eher nur Fiktion, der Weg dahin könnte aber folgendermaßen aussehen:

Das Prinzip der Gemeinsamen Mittelvergabe

Die Gemeinsame Mittelvergabe ist der Versuch, ein alternatives Vergabeprinzip in der Kunstförderung zu etablieren[1]. Alle, die einen Antrag auf eine Förderung stellen, werden eingeladen, sich zu versammeln und selbst über die Verteilung der Fördermittel zu entscheiden. Dieser Ansatz bringt in der Praxis bisher nicht unbedingt innovative Entscheidungen hervor, noch löst er existierende Widersprüche. Dafür werden die Widersprüche und Beziehungen aber schonungslos sichtbar. Dadurch hat die gemeinsame MIttelvergabe im Vergleich zu Jury-Verfahren ein politisches und widerständiges Potenzial und stellt radikal ein “weiter so” in der Kunstförderung in Frage.

Money of the many

Das Geld, das die öffentlichen Institutionen zur Förderung der Künste zur Verfügung stellen, ist ein begrenztes Gut. In der Regel übersteigen die beantragten Summen die Höhe der zur Verfügung gestellten Gelder bei Weitem. Gemessen an den finanziellen Bedarfen, die durch die Antragssummen sichtbar werden, ist die öffentliche Kunstförderung strukturell unterfinanziert.

Bemüht, im kulturpolitischen Tagesgeschäft trotzdem handlungsfähig zu bleiben, verteilen die Institutionen das “zu wenige” Geld unter den Antragstellenden und berufen dazu, im Sinne der Kunst und der Qualität, Jurys[2]. Die eingereichten Anträge werden miteinander verglichen, anhand von Kriterien bewertet und eine Auswahl getroffen. Statt alle ein bisschen[3], werden meistens einige Anträge vollständig, manche anteilig und manche gar nicht finanziert. Dass eben nicht alle Anträge berücksichtigt werden und manche komplett leer ausgehen, wird wohl als notwendiges Übel hingenommen und weitestgehend akzeptiert. Die Entscheidungen werden den Antragsteller:innen mitgeteilt, worauf die einen die Umsetzung Ihrer geförderten Vorhaben beginnen, während andere diese Möglichkeit nicht bekommen. Die Realität, dass in dieser Verteilungsfrage alle Antragstellenden miteinander in Beziehung stehen, die Förderung der eine:n die Nicht-Förderung der andere:n bedeutet, kann so ziemlich gut vergessen und ausgeklammert werden.

 

Die Gemeinsame Mittelvergabe als Raum für widerständige Zusammenhänge

Der Ansatz der Gemeinsamen Mittelvergabe hat das Potenzial, diese Beziehungen zwischen Geförderten und Nicht-Geförderten ernstzunehmen. Auch wenn in bisherigen ersten Erprobungen dieses Formats[4], die grundlegende Logik von Auswahl und Bewertung reproduziert wurde und am Ende des Prozesses auch hier Geförderte und Nicht-Geförderte standen, ist das Kollektiv mit der Schwierigkeit konfrontiert, dass die, die nicht ausgewählt werden, auch da sind, sich äußern und sichtbar werden. Indem die Entscheidungsmacht an das Kollektiv der Antragstellenden übergeben wird, ist eine Auseinandersetzung mit den Konsequenzen der Entscheidungen notwendig. Das Wissen übereinander, über unterschiedliche Bedarfe und Situationen macht diese Entscheidungen für die Betroffenen schwierig. Diese Schwierigkeit ist aber kein Mangel, sondern eine Stärke dieses Formats, denn sie zeigt, dass unter gegebenen Rahmenbedingungen Entscheidungen getroffen werden, die Gewinner:innen und Verlierer:innen produzieren.

 

How to Gemeinsame Mittelvergaben

Sich gemeinsam zu versammeln, ist die Grundlage, sich dieser Situation zu stellen, sich als Kollektiv zu begreifen und zu Fragen, inwiefern trotzdem füreinander Verantwortung übernommen werden kann. Formen für diese Verantwortungsübernahme zu verhandeln und zu finden, ist die Aufgabe des Kollektivs. Ein formuliertes Ziel könnte sein, Lösungen zu finden, die eine Basis für solidarische Beziehungsweisen schaffen. Inwiefern ein solcher Prozess gestaltet, vorbereitet, moderiert und organisiert wird, kann dabei variieren. Für alle, die einen solchen Prozess initiieren wollen, können folgende Punkte als Orientierung dienen:

Fangt klein an oder groß
Gemeinsame Mittelvergaben sind skalierbar. Es muss nicht direkt die Vergabe einer riesigen Kunstförderung sein. Ihr könnt in eurem Kollektiv oder dem nächsten Projekt damit anfangen, die Frage der Verteilung von Ressourcen bewusst kollektiv zu besprechen. Redet darüber mit euren Kolleg:innen; wer braucht wieviel usw.

Besorgt euch Geld
Stellt Anträge mit dem Ziel, Geld für gemeinsame Mittelvergaben zu erhalten. Sucht euch Verbündete und Kooperationspartner:innen, mit denen ihr dieses Vorhaben umsetzen wollt.

Regeln der Versammlung
Um den Rahmen der Versammlung partizipativ und offen zu gestalten, solltet ihr die Möglichkeiten schaffen, sich an der Organisation der Mittelvergabe zu beteiligen. Dazu braucht es strukturelle Rahmen für Partizipation. Stellt euch zu Beginn die Frage eurer Organisation- und Arbeitsweise. Hier hilft Organisiert euch!

Macht Setzungen
Je nach Größe der Versammlung, ist eine vorgegebene Struktur (Raum, Zeit, Ablauf) und Vorgehensweise (Wissensaustausch, Gesprächsleitung, Entscheidungsfindung) notwendig, um trotz Komplexität zu Ergebnissen zu kommen.

Versammlung als Kunstform
Nutzt Mittel, Wissen und Werkzeuge der eigenen Kunstform, um das Format zu gestalten und betreibt den Prozess als einen Forschenden. Nutzt dazu Methoden von praticipatory art based research. So kann Strukturarbeit aus Kunsttöpfen beantragt werden.

Grundsätzliches entscheiden
Welche grundsätzlichen Entscheidungen ihr in der gemeinsamen Mittelvergabe treffen wollt, sollte zu Beginn besprochen, diskutiert und entschieden werden, beispielsweise die Frage, ob ihr damit leben könnt, dass manche Teilnehmenden leer ausgehen oder ob das ein no go ist. Nutzt für Grundsatzentscheidungen Methoden wie das systemische Konsensieren oder der soziokratische Konsent-Entscheidung. Denkt daran, dass Mehrheitsentscheidungen immer auch viele Teilnehmenden übergehen.

Reden über Geld
Es treffen unterschiedliche Geld-Biographien, sozioökonomische Situationen und Klassen aufeinander. Das Thema Geld ist oft mit Diskriminierungsformen verschränkt beziehungsweise werden diese auch in der Verteilung von Geld sichtbar. Das Sprechen über Geld setzt viele Emotionen frei und muss behutsam gelernt werden. Setzt euch mit eurer eigenen Geldbiographie auseinander.[5]

Setzt Bedarfe miteinander in Beziehungen
Nutzt für die Vorstellung der Bedarfe mehrere Runden. In der ersten Runde äußern alle ihre Bedarfe. In einer zweiten Runde gibt es dann die Möglichkeit, die eigenen Bedarfe in Bezug zu den anderen noch einmal anzupassen. Nehmt euch Zeit.

Solidarität ist keine Selbstläuferin
Die gemeinsame Mittelvergabe allein ist keine Garantin für fairere und solidarische Beziehungen. Hierfür muss aktiv etwas getan werden, Themen und Fragen eingebracht und die Teilnehmenden in die Verantwortung genommen werden.

Macht den Mangel sichtbar
Gebt den Nicht-Geförderten einen Raum, sich zu äußern und zu vernetzen. Sei es, um sich zu stützen, sich zu bestärken, sich zu organisieren. Die gemeinsame MIttelvergabe kann auch eine Konferenz der (Förder-)Mittellosen werden.

Versammlung als Wellness
Gemeinsame Mittelvergaben sind emotional anstrengend. Sie kosten viel Aufmerksamkeit und Arbeit. Versorgt euch mit gutem Essen, plant neben Pausen auch Zeit und Räume für Wellness, Wohlwollen und Sorge ein.

 

Organisiert euch, organisiert Geld, schreibt aus, ladet ein, versammelt!

 

Über den Autor:

Moritz Kotzerke studierte Kommunikationsdesign in Düsseldorf und transdisziplinäre Gestaltung in Essen. Seit 2017 forscht er künstlerisch in unterschiedlichen Kollaborationen zu Versammlungs- und Austauschformaten. Er co-moderierte die Gemeinsame Mittelvergabe im Projekt “Wem gehört die Kunst?” und ist Mitinitiator des Projektes “TAKE THAT MONEY AND RUN TOGETHER! Die Konferenz der solidarischen Mittel”. Derzeit macht er eine Ausbildung zum soziokratischen Konsent-Moderator.

2023 erscheint außerdem die PublikationTAKE THAT MONEY AND RUN TOGETHER! Die Konferenz der solidarischen Mittel im Transcript Verlag, in der das Thema der Gemeinsamen Mittelvergabe auch noch einmal ausführlich thematisiert wird. Die Publikation wird als kostenloser Download zur Verfügung stehen.

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[1] Das Projekt “Wem gehört die Kunst?” hat 2017 eine solche Art der “Zwischenhänder:innen-Institition” erprobt. Dabei wurden Gelder bei der damaligen Förderinstitution ECCE beantragt, um diese in einem kollektiven Prozess weiter in die Szene zu verteilen. Dieser Prozess, wurde durch den Zusammenschluss freier Künstler:innen (Netzwerk X), einem freien Produktionshaus (Ringlokschuppen Ruhr) und einer Kunst-Institution (Urbane Künste Ruhr) initiiert.

[2] Diese Auswahlprozesse werden oft nicht direkt durch die Institution, sondern einer Zwischeninstanz, den Jurys getroffen; überschaubare Gruppen von wiederum ausgewählten Entscheider:innen, die die Masse an Anträgen diskutieren, bewerten und letztendlich als förderfähig oder nicht-förderfähig einstufen. Ganz im Sinne der repräsentativen Demokratie trifft eine kleine Gruppe von Menschen Entscheidungen über die Belange einer größeren Masse. Es wird  kontinuierlich an der Verbesserung dieses Verfahrens gearbeitet, indem u.a. die Entstehung, Zusammensetzung (hierzu mehr  Kulturpolitischen Handlungsempfehlungen oder  „Ohn(e)Macht – neue Wege für Jury- und Auswahlverfahren“  und interne Arbeitsweise von Jurys (hierzu der Text von Johanna Yasira Kluhs) gearbeitet.

[3] Dieses sogenannte "Gießkannenprinzip" wird auch von vielen Künstler*innen kritisch gesehen. Denn dieses "für alle ein bisschen" bedeutet dann häufig "für alle zu wenig". Einige Stimmen (die Erfolgreichen Förderantragssteller*innen, zumeist) präferieren stattdessen dann doch lieber das Konkurrenzprinzip, dass einige ausscheiden, damit die geförderten Projekte dann zumindest entsprechend ausgestattet werden können. (Kommentar eines Kollegen)

[4] Beispielsweise im Projekt “Wem gehört die Kunst?”, 2017 im Autonomen Zentrum Mülheim (Eine Kollaboration zwischen dem Netzwerk X, Urbane Künste Ruhr und dem Ringlokschuppen Ruhr).

[5] HIerzu empfehle ich das Buch “Wie viel - Was wir mit Geld machen und was Geld mit uns macht” von Mareice Kaiser. 2022 im Rowohlt Taschenbuchverlag Hamburg erschienen.

 

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